Lena, Stuttgart

Lena kam als viertes Kind spontan in der heimischen Badewanne zur Welt. Die Ultraschalluntersuchungen waren alle unauffällig. Wir freuten uns also nichtsahnend auf ein gesundes Mädchen. Direkt nach der Geburt erkannte die Hebamme die Fehlstellung. Lena hat beidseits Klumpfüße. Sie kam im Mai 2016 in der Nacht von einem Samstag auf einen Sonntag zur Welt. Am Montag Morgen fuhren wir direkt zum Kinderarzt, der uns als „Notfall“ in die Klumpfußsprechstunde im Olgahospital überwies.

Die ersten Fragen, die mir durch den Kopf schossen, als ich die Füßchen meines Babys sah, waren wohl dieselben, die sich viele Eltern stellen. Ich hatte noch nie Klumpfüße gesehen. Würde mein Baby jemals laufen können? Handelt es sich um eine Behinderung? Muss es operiert werden? Gibt es noch Begleitkrankheiten?

Mir war bis dahin gar nicht so richtig klar, dass mein Schwiegervater einen Klumpfuß hat. Es wurde darüber nie viel gesprochen. Ich wusste, dass er an einem Bein operiert wurde und auch besondere Schuhe trug, aber, dass es sich um eine angeborene Fußfehlstellung handelte, war mir nicht klar. Auch meinen Schwiegereltern war nicht klar, dass der Klumpfuß vererbt werden kann. Sie hatten vier gesunde Kinder und auch sonst ist kein weiterer Klumpfuß in der großen Verwandtschaft meines Schwiegervaters bekannt.

Da waren wir also keine 48 Stunden nach der Hausgeburt im Wartezimmer eines Krankenhauses. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber Dr. Eberhardt nahm sich Zeit für uns, erklärte gleich, dass dies kein Notfall sei und er uns nicht so kurz nach einer Hausgeburt ins Krankenhaus bestellt hätte. Da wir aber schon da waren, wurde gleich mit der Therapie begonnen. Er legte Lena die ersten Gipse an und erklärte, dass diese nun wöchentlich gewechselt werden würden, wobei der Fuß immer weiter in die Stellung gebracht werden sollte, die er für die OP haben sollte. Also doch eine OP. Die Tenotomie ist nur ein kleiner Eingriff, der im Olgahospital stationär unter Vollnarkose gemacht wird. Dabei wird die Achillessehne durchtrennt und wächst dann verlängert wieder zusammen. Bei uns wurde dieser Eingriff nach 5 Gipsen gemacht.

Lena war ein unruhiges Baby. Sie weinte viel und schlief zu wenig. Ihre Geschwister hätten gerne auch noch Zeit mit mir verbracht und wollten vor allem auch mit Lena kuscheln, aber es war kaum möglich. Mein Mann hatte glücklicherweise zwei Monate Elternzeit genommen und übernahm in dieser Zeit auch den kompletten Haushalt und unsere drei Kinder, während ich Woche für Woche im Krankenhaus saß und zwischendrin noch alle möglichen anderen Arzttermine mit Lena hatte. Natürlich musste die Hebamme auch mal nach meiner Gebärmutter schauen und irgendwann war die Nachsorge beim Frauenarzt dran. Diese ersten zwei Lebensmonate waren wirklich wahnsinnig anstrengend.

Der Gips nach der OP sollte drei Wochen dran bleiben, wobei nach zehn Tagen ein Orthopäde drauf schaute und beschloss, dass die Gipse noch gut saßen. Aber dann kam ein Wachstumsschub. Lena wurde noch unruhiger und schrie stundenlang. Irgendwann wurde mir bewusst, dass die Gipse unmöglich noch passen konnten. Ich hatte mit ihr einen Termin bei einer Osteopathin vereinbart, weil ich auch den Eindruck hatte, dass die Halswirbelsäule nicht frei beweglich war. Die Osteopathin bestärkte mich darin, noch am gleichen Tag ins Krankenhaus zu fahren und den Gips abnehmen zu lassen. Die drei Wochen waren noch nicht ganz vorbei, aber der Gips durfte runter. Ich konnte nicht hinsehen, als der Gips abgenommen wurde. Ich hatte furchtbare Angst vor dem was ich da sehen würde. Ich hatte Angst, dass der zu kleine Gips die Knie völlig deformiert hätte. Aber vor allem hatte ich Angst, dass ich mich vor den Füßen meines Babys ekeln könnte. Diesen Gedanken hatte ich all die Wochen verdrängt und mich auf die Pflege und die Termine konzentriert. Aber in diesem Moment, in dem der letzte Gips abkam, musste ich wirklich mit den Tränen kämpfen. Geweint hatte ich vorher auch schon genug, aber nicht im Krankenhaus und möglichst nicht vor Lenas Geschwistern. Die Beine hatten sichtlich gelitten unter dem Gips, sie wurden ja auch noch nie gewaschen und die Haut war sehr rosa. Aber es gab keine Schäden durch den falsch sitzenden Gips. Wir durften also ohne Gips, dafür mit der Mitchell-Schiene nach Hause fahren.

Inzwischen waren die ersten acht Lebenswochen vorbei und jede Woche hatte mir jemand gesagt, wie wichtig das konsequente Tragen der Schiene sei. Die Schiene hatte ich aber noch kein einziges Mal gesehen. Es kam mir ein wenig wie Gehirnwäsche vor. Es schien wirklich wichtig zu sein. Der Orthopädietechniker legte zusammen mit dem Arzt die Schiene noch im Gipsraum an und markierte mir an den Riemen die richtigen Löcher. Auch wurde mir gezeigt, wie genau ich sie anlegen soll und woran man erkennt, dass sie gut sitzt. 23 Stunden am Tag musste das seltsame Gestell dran bleiben. Anfangs sollte ich aber immer wieder nach Druckstellen schauen. Außerdem waren die Beine bisher im Gips immer angewinkelt gewesen, daher sollte ich auch für den Anfang eine Handtuchrolle unter die Knie legen.

Erst am Abend, als alle Kinder im Bett waren, traute ich mich die Schiene auszuziehen und mein Baby das erste Mal zu baden. Die Füße waren furchtbar verkrustet. Das arme Kind. Sie schien sich im Badeeimer wohl zu fühlen. Die Kruste löste sich und darunter sahen die Füße gar nicht so schlimm aus, wie ich erwartet hatte. Etwas geschwollen, die Zehen zeigten alle nach oben, die Nägel ebenfalls, eine wirkliche Ferse war auch noch nicht zu erkennen und an den Außenkanten gab es sehr viele Hautfalten. Aber sonst waren es kleine, weiche Babyfüße. Nach diesem Bad stillte ich mein süßes Mädchen und sie schlief die erste Nacht durch. Am nächsten Morgen war sie wie ausgetauscht. Sie schlief viel, wenn sie wach war, war sie zufrieden. Ich glaube, dass sie einen ganzen Monat lang gar nicht weinte. Sie hievte jeden Tag mehr und mehr die Schiene in die Luft und schien sich daran überhaupt nicht zu stören. Mir fiel es jedes Mal schwer dieses Gestell anzulegen. Es saß so eng. Ich hatte den Eindruck, dass ich es so fest es geht anzog und dann noch ein Loch enger. Aber es schien nicht weh zu tun, und Druckstellen gab es auch keine. Die ersten Tage waren die Füße noch gerötet, aber es wurde immer besser und wir wurden auch immer routinierter.

In diesem dritten Lebensmonat hatte ich erstmals so richtige Muttergefühle. So wie ich sie für die ersten drei Kinder in den ersten Lebensstunden schon hatte. Das war mir die ganze Zeit gar nicht klar gewesen. Ich hatte sie mit aller Hingabe versorgt, gestillt, gewickelt, war mit ihr ins Krankenhaus gefahren und alles gegeben, und mich selbst viel zu wenig erholt in diesem Wochenbett, aber so richtige Muttergefühle kamen erst als wir die Schiene hatten. Sie schlief, wir hatten weniger Termine. Das war anfangs seltsam. Wir sollten erst nach drei Monaten wieder zur Kontrolle. Das kam mir unendlich lang vor. Was wäre, wenn ich etwas falsch machte, was wäre, wenn sich etwas verschlechterte? Aber wir wussten, dass wir im Olgahospital in guten Händen waren und unser ersten Klumpfüße für sie Alltag sind.

Trotzdem hielten wir die drei Monate nicht durch. Irgendwann schauten die Zehen schon sehr raus und Lena bekam Druckstellen. Die Schuhe schienen viel zu klein. Also rief ich an und vereinbarte einen früheren Termin. Dr. Eberhardt war super zufrieden mit den Füßen, verschrieb uns größere Schuhe und dann kam das Beste. Wir durften ohne Schiene nach Hause fahren. Sie sollte sie nur noch 12-14 Stunden täglich tragen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Irgendwie hatte ich es so verstanden, dass die Schiene bis zum zweiten Geburtstag Tag und Nacht getragen wird und erst dann reduziert wird. Das war ein wunderbares Gefühl.

Wir hatten direkt nach der Gipszeit mit Physiotherapie gestartet. Lena war stark asymmetrisch, weswegen wir ja auch bei der Osteopathin waren. Einmal in der Woche fuhr ich also mit ihr zur Krankengymnastik. An diesem Tag war das die einzige Zeit ohne Schiene. Es wurde der gesamte Körper trainiert und die Therapeutin zeigte mir Übungen für die Füße nach Zukunft-Huber. Diese Übungen machte ich dann jeden Tag mit Lena. Wir nutzten also die eine Stunde, die sie ohne die Schiene sein durfte, für die Übungen aus der Physiotherapie. Sie machte gute Fortschritte. Genau genommen war Lena mit allem früher dran als ihre Geschwister. Sie machte ihre ersten Schritte mit 13 Monaten. Wir waren so stolz.

Inzwischen ist Lena 2,5 Jahre alt. Sie kann die Riemen der Schiene selber aufmachen, zieht sie morgens aber nur ungern aus. Wir ziehen ihr die Schiene sehr konsequent an. Egal ob Zähne kamen, sie krank war oder es im Sommer über 30 Grad hatte. Die Schiene gehört zu ihrer Nacht und meistens besteht sie auch selbst darauf, dass sie noch angezogen werden muss. Inzwischen schaffen wir nicht mehr täglich die 14 Stunden, kommen aber in der Nacht locker auf 12 – 13 Stunden. Lena ist ein lebensfrohes Mädchen, das gerne rennt, klettert und springt, als hätte sie vollkommen gesunde Füße. Sie ist super ehrgeizig und geht nach wie vor sehr gerne zur Krankengymnastik und mag auch ihre Übungen zuhause.

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